Als Webdesigner jenseits des KI-Hypes bestehen

Portrait von Christoph Zillgens

Christoph Zillgens

5.7.23

 • Lesezeit min

Das vermutlich letzte, was Computer uns klauen werden: Kreativität

Über künstliche Intelligenz ist allerlei geschrieben worden. Wie sie Prozesse beschleunigt, unsere Arbeit erleichtert, Jobs bedroht, die Arbeitswelt revolutioniert oder womöglich die gesamte Menschheit auslöscht. Die Wahrheit liegt wie immer irgendwo dazwischen, aber was auch immer kommt, wir stehen am Anfang von etwas ganz Gewaltigem, dass sich rasant auf alle Bereiche unseres (Webdesigner-)Lebens auswirkt.

Nahezug jede App, die ich regelmäßig nutze, hat mittlerweile KI-Support implementiert. Irgendwo ein kleines Knöpfchen, das Hilfestellung leistet, Texte erstellt, Bilder generiert usw.. ChatGPT und Midjourney haben in kürzester Zeit die Arbeitswelt erobert. Es ist erstaunlich und faszinierend, was durch einfache Texteingaben entstehen kann und wie ein Kaninchen aus dem Hut gezaubert wird: umfangreiche Texte, nützliche Codeschnipsel, Bilder, Illustrationen, komplette Website-Layouts.

Gleichzeitig liegt in dieser Entwicklung eine gewisse Bedrohung. Mit jeder Fähigkeit, die diese Tools neu lernen, scheint das eigene Können als Texter, Illustrator oder Webdesigner mehr und mehr in den Schatten gestellt zu werden. »R.I.P. Web Designers«, schreiben die KI-Jünger in ihre Tweets, um klarzumachen: Ihr könnt einpacken, KI wird euren Job übernehmen.

Clickbaiting, ja, aber trotzdem triggert es mich, weil ich wirklich manchmal denke, wir können einpacken. Für einen kleinen Moment möchte ich hinschmeißen und den Job den Maschinen überlassen. Sie werden sowieso immer schlauer und in mehr und mehr Bereiche unseres Daseins eingreifen, uns immer besser nacheifern und simulieren können, bis hin zur Übernahme unserer menschlichen Kreativität. Warum also nicht gleich die weiße Fahne hissen und stattdessen im Garten Gemüse anbauen?

Nun, da spricht tatsächlich nichts gegen, Kollege Anselm Hannemann hat genau das getan und ich find’s cool. Schaut doch mal bei Schaufel und Gabel vorbei und falls ihr das Örtchen Habach kennt, fahrt hin und kauft Gemüse!

Aber ich schweife ab. Ganz so schnell möchte ich dann doch nicht das Handtuch werfen und der KI das Feld überlassen. Zurück zu unserem Webdesign-Business. Was können wir tun, um neben KI-getriebenen Features als Webdesigner zu bestehen?

Der Wert unserer Arbeit als Webdesigner

Schon seit Jahren ist hochwertiges, maßgeschneidertes Webdesign der Konkurrenz durch günstige Site-Builder wie Wix, Squarespace oder zahllose teils frei verfügbare WordPress-Templates ausgesetzt. Warum sollte jemand für hochpreisiges Webdesign bezahlen, wenn doch so viele gute, aber weit günstigere Alternativen zu haben sind? Welchen Mehrwert können wir Webworker unseren Kunden bieten, sodass höhere Preise auch gerechtfertigt sind? Und auch: Wie können wir uns selbst als Webdesigner einzigartig positionieren und mit unserer Arbeit aus der Masse gleichförmiger, uninspirierter Websites herausstechen?

Diese Fragen warf Designer Mike Kus bereits 2016 auf, in einem Talk mit dem bezeichnenden Titel »How to survive as a web designer beyond 2020«. Auch wenn es in seinem Vortrag überhaupt nicht um KI ging, sind die Antworten  eins zu eins darauf anwendbar. Oder anders ausgedrückt: das, was wirklich wichtig und entscheidend für gutes individuelles Webdesign ist, wird auch aktuell nicht durch KI bedroht.

Mike Kus sieht den Schlüssel in der persönlichen Identität unserer Kunden, die immer einzigartig sei und die wir als Designer herausarbeiten und für herausragende visuelle Kommunikation nutzen sollten.

Um für unsere Kunden richtig gutes Webdesign zu entwickeln, müssen wir uns zunächst in sie hineinversetzen, müssen herausfinden, wer sie wirklich sind und wofür sie stehen. Dies geschieht auf einer emotionalen, empathischen Ebene, im direkten Austausch miteinander. Das ist bereichernd, aber auch anstrengend, mitunter aufreibend und braucht Zeit. Nicht zuletzt deshalb ist dieser Schritt im Design-Prozess oft der schwierigste, weshalb viele weniger ambitionierte Designer:innen ihn gerne abkürzen, einfach ein schickes Template verwenden oder sich an bereits fertiger Lösungen anderer Unternehmen bedienen. Man muss nur einen Blick auf die Startseite einschlägiger Designportale wie Dribbble werfen, um zu sehen, wie sich viele der Designs gleichen.

Das ist es auch, was unsere Kunden gerne machen: sich an der Konkurrenz orientieren und sich selbst in deren Designs sehen: »Genauso möchte ich das auch haben!«, ist ein Satz, den du vermutlich auch schon gehört hast. Unsere Aufgabe ist es, sie davon abzuhalten und vielmehr auf ihre eigene Persönlichkeit und ihre Stärken einzugehen, sie herauszuarbeiten und für ein individuelles Design zu nutzen. Hier liegt der Schlüssel, etwas eigenständiges und auch innovatives zu schaffen, dass sich visuell von der Masse abhebt.

Gleichzeitig geben wir unserem Design einen Zweck und somit einen Wert, weil es dann in der Lage ist, Botschaften der Kunden zu verstärken, Inhalte überzeugend zu kommunizieren und letztendlich Gefühle zu transportieren, die Menschen miteinander verbinden.

Hier ist menschliche Expertise und weniger die KI gefragt, weil es um Beziehungen, Stimmungen und Erwartungen geht, die in der Welt der künstlichen neuronalen Netzwerke nicht stattfinden. Das sind unsere menschlichen Stärken, die wir uns stets vor Augen führen sollten.

Sinn finden als Webdesigner

Das bedeutet natürlich nicht, dass KI nicht einen enormen Einfluss auf unsere Arbeit als Designer haben wird. Wir werden weniger Zeit mit »Handarbeit« im Design-Tool und dafür mehr im Eingabefeld von KI-Werkzeugen verbringen. Bestimmte Gestaltungs- oder Entwicklungs-Prozesse werden beschleunigt oder gänzlich von einer KI übernommen werden. Die eingangs beschriebene Bedrohung wird sich für manche von uns sehr real auswirken und möglicherweise mit einer Identitäts- oder Schaffenskrise einhergehen.

Auch hier ist es wichtig, sich auf das zu konzentrieren, wo wir als Menschen einen Mehrwert bieten können. Webentwickler Brad Frost rät dazu, sich darauf zu fokussieren, warum wir etwas machen und weniger auf das Was und Wie. Die von uns gestalteten Websites und Webprodukte haben eine Zweck und einen Nutzen, sie sind dafür da, anderen Menschen zu helfen, sie zu informieren oder ein tolles Erlebnis zu verschaffen. Dies ist eine wichtige und sinnvolle Aufgabe.

Die Frage nach dem Warum, nach dem Sinn unserer Arbeit kann uns helfen, besser zu verstehen, was andere Menschen von uns brauchen und wie wir ihr Nutzerlebnis bei der Verwendung unserer Produkte weiter verbessern können. Es gehe dabei nicht nur um den Erfolg eines Produkts, sondern auch um die Frage, ob es durchdacht ethisch und zugänglich sei, wie Brad Frost sagt.

Wenn sich dann Arbeitsabläufe – sicher auch durch KI – beschleunigen lassen, entsteht mehr Freiraum, sich genau diesen Fragen zu widmen. Das heißt, KI kann uns helfen, mehr Zeit für die sinnvollen Bereiche unserer Arbeit freizumachen.

Spontan fällt mir hier reihenweise Software in Verwaltungen und Büros ein, die von der Nutzeroberfläche und der Bedienbarkeit her in den 90ern hängen geblieben ist. Es gibt noch so viel zu tun, wo wir unsere Kreativität für bessere Benutzeroberflächen und Designs einsetzen können. KI wird uns diese Arbeit nicht abnehmen, sie wird uns aber in der Umsetzung Zeit sparen, die wir wiederum in mehr Denkarbeit investieren können.

Was heißt es, Mensch zu sein?

Zum Schluss möchte ich auf einen grandiosen Artikel von Oliver Reichenstein verweisen, der sich mit den Auswirkungen von KI auseinandersetzt und wie wir ihnen begegnen können. Darin sagt er:

Die Hoffnung ist, dass wir durch den richtigen Einsatz von Maschinen lernen, uns von ihnen zu unterscheiden.

— Oliver Reichenstein

Während er eine Welt skizziert, die dank KI in der Bedeutungslosigkeit versinken könnte, regt er an, dass wir als Menschen aufwachen und wieder beginnen sollten nachzudenken, statt Wissen und Verständnis vorzugaukeln. KI halte uns durch ihr simuliertes Wissen quasi den Spiegel vor, das auch unser Schul- und -Business-Wissen oft nur simuliertes Wissen sei, das wenig mit tiefgreifendem Verständnis zu tun hat.

Hierin liegt für uns die Chance, stärker ins Menschsein zu investieren, Dinge zu durchdenken und wirklich verstehen zu wollen. Wer könnte das besser auf den Punkt bringen als der Meister aller Tüftler und Grübler, Peter Lustig?

Letztlich gibt es für die Menschheit nur ein einziges Übel: Die Unwissenheit.

— Peter Lustig

Unsere Gedanken, Ideen und Erkenntnisse zu teilen, ist ein wichtiger Teil unseres Menschseins. Es ist die Sprache, die uns miteinander verbindet, die Bedeutung und Gefühle vermittelt und uns hilft, andere zu verstehen, aber auch uns selbst zu verstehen. KI kann all das simulieren, aber nie wirklich mit Gefühlen untermauern. Frust, Enttäuschung und Freude bleiben uns Menschen vorenthalten.

Ich mag Olivers Bild von der menschlichen Sprache als Brücke, die nur zwischen fühlenden Menschen funktionieren kann, und dann anfängt zu bröckeln, wenn auf der einen Seite eine seelenlose Maschine agiert.

Auch Webdesign ist Sprache, nicht umsonst nennen wir es visuelle Kommunikation.

Auch Webdesign baut Brücken zwischen Menschen und hier gilt dasselbe: Wir können Texte, Bilder, Layouts komplett von Maschinen generieren lassen. Aber dann fängt die Verbindung an zu bröckeln. Hier schließt sich der Kreis zu Mike Kus und der Persönlichkeit eines Menschen oder Unternehmens, die der Schlüssel zu einer gelungenen Kommunikation ist.

KI wird weiter und stärker in unser Leben eindringen, sie wird uns aber, wie Oliver bekräftigt, uns nicht davon abhalten, zu schreiben, zu erschaffen und zwischenmenschliche Verbindungen aufzubauen. Und das ist, bei aller Bedrohlichkeit, ein tröstlicher Gedanke.